In die Glaskugel geschaut

Laut Regierungsprogramm steht die Digitalisierung in allen Bereichen, auch im Gesundheitssektor, ganz oben auf der Agenda. Corona hat diesen Elan kaum abgebremst, im Gegenteil. Im Gesundheitsbereich waren plötzlich Videokonsultationen möglich und eine provisorische Variante des e-Rezeptes. Wie wird es jetzt weitergehen?

Das Team rund um Standortanwalt Alexander Biach von der Wirtschaftskammer Wien hat im August die volkswirtschaftlichen Effekte der Gesundheitsbranche auf den Standort Wien und Österreich analysiert und berechnet. Demnach trägt die Gesundheitsbranche in Wien mit 26,7 Milliarden Euro mehr als ein Viertel zur Volkswirtschaftsleistung bei, das sind 28 Prozent am gesamten Bruttoregionalprodukt. Jeder vierte Wiener ist in irgendeiner Form in der Gesundheitsbranche tätig. In anderen Bundesländern löst die Wiener Gesundheitsbranche Effekte zum Bruttoinlandsprodukt in Höhe von 3,7 Milliarden Euro aus. „Gesundheit und Medizin sind die Wachstumsbranchen der kommenden Jahre“, so Biach. In der Bundeshauptstadt sollen das Vienna Biocenter ausgebaut, das Hanusch-Krankenhaus mit dem Pavillon 6 zu einem neuen Leitspital umgebaut, ein neues Life Science- Technologiezentrum etabliert und das Future Health Lab in CAPE-10 sowie der MedUni Campus AKH weiterentwickelt werden. Zudem habe sich Wien um einen Standort für eine Europäische Zulassungsstelle für Medizinprodukte beworben. „Die Entscheidung fällt noch im Herbst“, so Biach.

ELGA-Anwendungen und Infrastruktur

Die ELGA-Infrastruktur soll laut Regierungsprogramm ausgebaut werden. Denn das „lockt Start-ups, die um diese Themen herum neue Anwendungen für Patienten, Ärzte und auch für die Verwaltung entwickeln könnten, und nützt dem Wirtschaftsstandort Wien“, so Biach. Die e-Medikation war die erste ELGA-Anwendung, die in Ordinationen und Apotheken ausgerollt wurde. „Corona ist ein Beschleuniger für Digitales, aber man muss jetzt die Dinge in die richtige Richtung weitertreiben“, sagt SVS-Obmann Peter Lehner. Wenn die digitalen Anwendungen optimal im Hintergrund laufen, bleibe mehr Zeit für den so wichtigen persönlichen Kontakt beim Arzt, ist Lehner überzeugt.

Gefragt, ob Google und Co nicht eine Spur schneller seien, antwortet er: „Wir laufen Gefahr, dass alles in die Privatwirtschaft geht, da sind jedoch andere Interessen an den Daten dahinter. Daten sind das wertvollste Gut, und wir müssen gewährleisten, dass sie bei der Sozialversicherung liegen, also einer unabhängigen Stelle. Es geht darum, Aufgaben so zu steuern und zu beobachten, dass das Patientenwohl im Mittelpunkt steht; gleichzeitig müssen wir auf die Gesamtkosten im System achten.“ Und wie geht es mit den bisherigen Plänen weiter?

Status-update e-Impfpass

Mit der für Oktober 2020 geplanten Novelle des Gesundheitstelematikgesetzes wird die Grundlage für den nationalen elektronischen Impfpass geschaffen. Sobald das Gesetz beschlossen ist, könne auch die Pilotierung starten, ist aus der ELGA GmbH zu hören. Schwerpunktmäßig soll der e-Impfpass bei den regionalen Influenza-Impfaktionen der Bundesländer bereits im Herbst 2020 zum Einsatz kommen. Eine Opt-Out-Option für den elektronischen Impfpass ist im Interesse einer vollständigen Dokumentation aus epidemiologischen Gründen nicht vorgesehen. Geplante Funktionen sind die Basisfunktionalitäten wie Lesen, Speichern, Aktualisieren, Stornieren und Löschen von Immunisierungseinträgen im Impfregister sowie personalisierte Impfempfehlungen. In einem zweiten Ausbauschritt sollen Funktionalitäten wie die Abrechnungsunterstützung für das kostenlose Impfkonzept, ein Erinnerungssystem, eine Nachtragefunktion und/oder ein Nachtrageservice dazukommen.

Das Kernstück, ein nationales Impfregister zur digitalen Verarbeitung von Immunisierungsinformationen der Bürger, ist ein aktuelles Pilot-Projekt der ELGA GmbH und wird als weitere ELGA-Anwendung auf Basis der bestehenden Infrastruktur aufgesetzt. Der Zugriff erfolgt über das ELGA-Portal. Die technische Grundlage für den Datenaustausch ist, wie schon bei den e-Befunden, der Standard HL7 CDA. Um eine nahtlose Anbindung an die Arztsoftware zu ermöglichen, sind Schnittstellen nötig. Für die Implementierung in GDA-Softwaresysteme wird seitens der ELGA GmbH eine IHE-Schnittstelle bereitgestellt und betreut, die e-Card-Schnittstelle (SS12) wird vom Partnersupport der SVC GmbH betreut, ebenso wie eine GDA-softwareunabhängige Weboberfläche. Auch eine mobile Datenerfassung über Smartphone oder Tablet soll möglich sein. „Der e-Impfpass hat auch für die Gesellschaft einen Wert“, sagt Peter Lehner. „Stichwort Herdenimmunität. Unsere Aufgabe ist es, aufzuzeigen, dass es Sinn macht, die Daten vom e-Impfpass zu verwenden, um valide Aussagen über Durchimpfungsraten der Bevölkerung machen zu können.“

Status-update e-Rezept

Die derzeit mögliche kontaktlose Verschreibung über die e-Medikation, wie sie aufgrund von Covid-19 eingeführt wurde, ist eine Übergangslösung, bis es das e-Rezept gibt. Technisch schon lange fertig, ist das „echte“ e-Rezept ein Projekt der SVC. Das elektronische Rezept soll vom Arzt direkt im e-Card-System erstellt und gespeichert werden. Auf Wunsch erhalten Patienten einen Code elektronisch auf ihr Handy oder aber einen Ausdruck des e-Rezeptes, auf dem der Code aufgedruckt ist. In der Apotheke wird dieser Code gescannt oder durch Stecken der e-Card die Verschreibung aus dem System abgerufen. Nach Abgabe der Medikamente wird das Rezept im e-Card-System als „eingelöst“ gekennzeichnet. Die Apotheke rechnet die Rezepte elektronisch mit der Sozialversicherung ab. Aus der SVC heißt es zum Zeitplan: „Der Pilotbetrieb startet im Herbst in den Bezirken Völkermarkt und Wolfsberg in Kärnten, bis Ende 2021 soll das elektronische Rezept flächen- deckend im ganzen Land zur Verfügung stehen.“ Das improvisierte e-Rezept wurde laut Biach in der Corona-Zeit von Ärzte- und Apothekerschaft angeboten und auch gut angenommen. „Diese Health-Anwendung ist fertig und die Zeit ist reif, sie nun auszurollen. Das steigert die Servicequalität, hilft den Patientinnen und Patienten und fördert die Wirtschaft – Win-Win-Win, das brauchen wir jetzt“, appelliert Standortanwalt Biach an die Interessenvertreter, das e-Rezept rasch umzusetzen.

Status-update elektronisches Kommunikationsservice (eKOS)

Das elektronische Kommunikationsservice eKOS soll die Ver- ordnungen vereinfachen. Per Knopfdruck soll eine e-Zuweisung vom Hausarzt etwa zu einem CT direkt an den Chefarzt gehen. Patienten sollen eine SMS oder E-Mail mit einem An- tragscode bekommen, sobald der Antrag freigegeben wurde. Diesen Code verwenden Patienten dann bei der elektronischen Anmeldung im Institut. Bis zur flächendeckenden Nutzbarkeit

gibt es einen Ausdruck mit Code. Aus der SVC heißt es zum aktuellen Status: „Die Zuweisung via eKOS durch niedergelas- sene Ärzte liegt mit ca. 20.000 Zuweisungen pro Monat derzeit noch unter den Erwartungen. Dennoch nutzen CT- und MR- Institute eKOS intensiv. Dies ist möglich, da zahlreiche Anträge von den Versicherten selbst, von den Sozialversicherungsträ- gern, aber auch von den leistungserbringenden Instituten di- rekt in eKOS nacherfasst werden, um die zahlreichen Vorteile des Systems nutzen zu können.“ Über den weiteren Ausbau im niedergelassenen Bereich würden derzeit Gespräche mit der Österreichischen Ärztekammer geführt. Laut Biach, der darin „eine enorme Wege-, Zeit- und Verwaltungsersparnis vor allem für Patienten“ sieht, stehen Institute und Sozialversicherung für die Ausrollung bereit.

Gesundheitsdaten für die Forschung

Aus einer repräsentativen Gallup-Umfrage vom März/April 2020 geht hervor, dass 91 Prozent der Befragten dafür sind, dass Gesundheitsdaten für die Forschung zur Bekämpfung von Covid-19 verwendet werden. Bei 84 Prozent liegt die Akzeptanz der Verwendung von e-Medikationsdaten zu diesem Zweck. Die Konsequenz daraus: Die Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) hat im Auftrag des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK) eine Datenplattform eingerichtet. Patientenanwalt Gerald Bachinger sagt zur Weitergabe von Daten aus dem Österreichischen Epidemiologischen Meldesystem (EMS) an Universitäten und Forschungseinrichtungen: „Ich sitze als stellvertretender Vorsitzender im Akkreditierungsbeirat und wir haben in wenigen Wochen bereits 50 Anträge bearbeitet.“ Diese Datenverwer- tung sei ein Meilenstein in Österreich und in verschiedenen Bereichen und Richtungen noch ausbaufähig. „Verglichen mit den nordischen Gesundheitssystemen, die diesbezüglich seit Jahren große Transparenz pflegen, noch wenig, aber ein wichtiger Anfang: Die Tür ist jetzt einen Spaltbreit offen und wird noch weiter aufgehen.“

Quelle: Das Österreichische Gesundheitswesen ÖKZ, Beitrag von Dr. Michaela Endemann