Wir versinken im Sumpf einer Seifenoper!

Ex-Finanzminister und Wirtschaftstycoon Hannes Androsch zog sich im Mai als Vorsitzender des Austrian Institute of Technology zurück. Das Interview über den Erfolgskurs des AIT – selbst im Jahr der Pandemie – und die wirtschaftliche Lage der Nation

Kann man eine Millionenstadt so schnell wieder „hochfahren“?
Androsch: Das ist kein glücklicher Begriff – weil „Hochfahren“ kann ja auch „hochfahrend“ sein! Ebenso ungeschickt ist der Begriff „Comeback“, das sind so lächerliche politische Marketingbegriffe! Jedenfalls haben wir in Österreich ein kurz- und ein langfristiges Problem. Zum einen erleben wir den rasanten Aufstieg Asiens und Chinas sowie den Verlust des Stellenwertes der amerikanischen Weltordnung …

Stichwort Trump …
Androsch: Der war nur eine besonders verunglückte Zugabe … Und da droht ganz Europa zerrieben zu werden zwischen den großen Rivalen.

Welchen Stellenwert hat hier Österreich?
Androsch: Seit dem Wiener Kongress hat Österreich einen Abstieg erlebt und wurde Anhängsel der „Deutschen Frage“. Und 1918 sagte Clemenceau:
„L’Autriche c’est ce qui reste – Österreich ist das, was überbleibt!“ – Niedergang des Habsburger-Reichs; Erste Republik: zerrissen und wirtschaftlich ein Armenhaus; Weltwirtschaftskrise; Ständestaat; Nazi, Weltkrieg und Holocaust … Und es wird ja immer vom „deutschen Wirtschaftswunder“ gesprochen, tatsächlich aber gab es nach 1945 ein österreichisches Wunder: So schrieb Österreich bis zur Jahrtausendwende an einer Erfolgsgeschichte! Das geriet zum Stillstand rund um das Jahr 2000 und hat sich bis heute noch verschlimmert: Es herrscht Chaos, Rückschrittlichkeit, Mittelmäßigkeit! In den Rankings – von Innovation über Pisa-Studie und Telekommunikation bis Klimaschutz – ist Österreich in den mittleren Bereich, auf ein Mittelmaß zurückgefallen. Inzwischen versinken wir gelähmt in einer Seifenoper!

Woran liegt das?
Androsch: Wir hatten in kürzester Zeit fünf Kanzlerschaften – da übertreffen wir ja noch die Italiener! Und es geht nichts weiter! Bewahren, Beharren, mehr vom Selben, wir gehen in die falsche Richtung. Aber unser Kurs müsste heißen: Aufbruch, Modernisierung, Zukunftsorientierung, Gestalten statt Verwalten, Sein statt Schein! Das versucht die Bundesregierung durch Ankündigungsfluten am laufenden Band zu kaschieren. Tatsächlich herrscht Verwirklichungsdürre. Deshalb müssen wir uns letztlich fragen: Warum ist die Schweiz in nahezu allen Bereichen so viel besser als wir? Das müsste nicht so sein. Aber wir treten aufgeregt im Sumpf herum – und wenn man das macht, sinkt man bekanntlich immer tiefer ein!

Da kommen wir auf den Wissenschafts- und Forschungsstandort Österreich zu sprechen …
Androsch: Dazu fällt mir gleich ein: Wir haben einen jährlichen „Brain Drain“ – also einen Abgang der besten Köpfe und Talente – in einer Größenordnung von 8.000 Menschen. Die einen gehen nach Deutschland oder in die Schweiz, die anderen nach England oder Amerika. Weil sie dort ganz andere Bedingungen vorfinden. Wir haben im gesamten Bildungsbereich einen Niveauverlust auf allen Ebenen! Und zwar in einem Ausmaß, das weder die niedergehende Monarchie noch die zerrissene Erste Republik – die hatten die „Wiener Moderne“ – kannte. Wir versinken zukunftsgelähmt im Sumpf der Korruption einer Seifenoper!

Das klingt recht ausweglos …
Androsch: Nein, man muss nur den Befund akzeptieren! Dann wär’s ein kleiner Schritt zur Therapie.

Wie wäre denn die Therapie?
Androsch: Das fängt bei der vorschulischen und Elementarpädagogik an …

Es geht um Bildung!
Androsch: Bildung, Bildung, Bildung! Dass wir’s können, beweist zum Beispiel das AIT – wenn man solche Oasen der Möglichkeit schafft, dann funktioniert es ja. Nur rundherum ist eine Wüste und Elend der Mittelmäßigkeit!

Sie waren 14 Jahre lang Aufsichtsratsvorsitzender des Austrian Institute of Technology und übergaben diese Funktion im Mai an Peter Schwab. Selbst im Corona- Jahr 2020 schrieb das AIT erfolgreiche Bilanzen …
Androsch: Das zeigt, dass wir „kennatn“, wenn wir „tatatn“! Wir haben 1.300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im AIT, davon 200 Doktoranden. Wir arbeiten mit der MedUni zusammen, mit der Boku, der TU, mit Boston …
Das Rezept ist ganz einfach: Man muss sicherstellen, dass die Leute ihren Job ohne Einflussnahme ausüben können; den machen sie dann mit Freude und Begeisterung! Es braucht eine starke Führung, und natürlich müssen die finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt werden. So einfach ist das. Und dann geht’s!

Im AIT wird geforscht und entwickelt …
Androsch: … und es geht natürlich auch um Aufträge! Vor allem an mittelständische Unternehmen, die sich keine eigene Forschung leisten können. Und wenn wir nichts bieten, dann kriegen wir auch keine Aufträge. So einfach ist die Welt! Und das hat sich sogar im Pandemie-Jahr 2020 als zielführend erwiesen.

Da geht es um Forschung und Entwicklung in den Bereichen Digitalisierung, Mobilität, Dekarbonisierung …
Androsch: Alles! Jetzt haben wir zum Beispiel digitalisierte Agrarökonomie – eine bessere Landwirtschaft – im Portfolio. Oder urbane Mobilität. Und beim Thema Cyber Security sind wir in ganz Europa anerkannt.
Sind Sie mit Peter Schwab, Ihrem Nachfolger, zufrieden?

Androsch: Sehr! Er war vor mir und mit mir im Aufsichtsrat. Da hat er die Änderungen miterlebt. Er war Forschungschef in der Voest und ist jetzt im Vorstand. Er hat also Vorstands- und Managementerfahrung. Ich begrüße diese Entscheidung und wünsche ihm viel Erfolg.

Interview: Christoph Hirschmann

@ AIC, Foto: Gerhard Heller