Die Erschütterung unserer Schulen durch die Pandemie – Rückblick und Ausblick
Fotocredit Andreas Salcher
Am 13. März 2020 verkündete die Regierung den Shutdown aller Schulen. Covid-19 schaffte innerhalb weniger Stunden etwas, das selbst fundamentale Krisen seit den beiden Weltkriegen nicht bewirken konnten. Die Überwindung des Immunsystems unseres Schulsystems gegen alle Einflüsse der realen Welt. Die Schulen standen auf einmal ungeschützt mitten in unserer Gesellschaft. Das Virus konnte weder als „schulfremde Person“ abgewiesen noch wie die digitale Revolution hartnäckig ignoriert werden.
Es gab durchaus einige „Leuchtturmschulen“, die schon im digitalen Zeitalter angekommen waren und daher den Umstieg auf E-Learning mit Live-Streaming von Unterricht und virtuellen Klassenzimmern tatsächlich innerhalb weniger Tage meisterten. Für das Schulsystem insgesamt bewahrheitete sich dagegen die alte Managementweisheit: Wer sich immer nur um die dringenden statt um die wichtigen Probleme kümmert, für den werden die wichtigen irgendwann dringend. Vor allem jene, die fest davon überzeugt waren, dass man Schulen möglichst komplett von der Digitalisierung abschotten müsste, um die heile analoge Welt zu schützen, fühlten sich völlig überfordert von Zeiten, in denen es auf einmal keine Tafeln und Kreiden gab.
Viele Schulen haben den Corona-Stresstest besser bewältigt als befürchtet. Gleichzeitig wurden die Schwächen des Schulsystems insgesamt offensichtlicher denn je. Die Kluft zwischen den pädagogisch hervorragenden Schulen und den veralteten „Belehrungsschulen“ mit frontaler Stoffvermittlung ist riesig. Das führte dazu, dass oft die komplette Bildungslast auf den Eltern, meist den Müttern, lag. Am bedrohlichsten ist aber das 20-Prozent-Problem. Alle Studien vor und während Corona verdeutlichen, dass unser derzeitiges Schulsystem für jedes fünfte Kind ungeeignet ist, um grundlegende Fähigkeiten zu vermitteln. Das sind jene Schüler, die nach neun Jahren Pflichtschule nicht sinnerfassend lesen können. Dafür darf man allerdings nicht nur unser Schulsystem verantwortlich machen. Diese Kinder leben in einer anderen Welt. Bücher- und bildungsfreie Zonen in kleinen überfüllten Wohnungen, kein Wort Deutsch im familiären Alltag, verbunden mit finanziellem Druck, verursachen vergebene Lebenschancen. Man muss kein Zivilisationspessimist sein, um zu ahnen, dass sich dieser Prozentsatz weiter erhöhen wird, wenn wir nicht alle unsere Schulen endlich ins 21. Jahrhundert bringen.
Wir bereiten unsere Kinder auf eine Welt vor, die es schon lange nicht mehr gibt. Jedes Erdbeben bietet danach in der Phase des Wiederaufbaues die Chance, das Altgediente durch etwas Besseres zu ersetzen. Ein Zurück hinter Corona wird es wohl nicht mehr geben. Alle Menschen werden Fähigkeiten wie Resilienz, Selbstorganisation, Lösungskompetenz in Teams und vor allem Kreativität beherrschen müssen, um ein selbstbestimmtes Leben führen zu können.
Die Welt wird sich in Zukunft noch viel stärker in die Lerner und die Nichtlerner trennen. Und die Nichtlerner werden zu den großen Verlierern gehören. Im bereits vorgerückten 21. Jahrhundert können wir es uns nicht leisten, weiter auf das Curriculum des 19. Jahrhunderts zu setzen, nur weil es bequem ist. Wenn wir die Kinder auf eine ungewisse Zukunft vorbereiten wollen, dann dürfen wir sie nicht in unserer Vergangenheit festhalten. H. G. Wells, der Autor des Romans „Der Krieg der Welten“, hat uns vor langer Zeit gewarnt: „Zivilisation ist ein Wettrennen zwischen Bildung und Katastrophe.“
Dr. Andreas Salcher ist Unternehmensberater, Mitbegründer der „Sir Karl Popper Schule“ und Bestsellerautor. Sein aktuelles Buch heißt „Der talentierte Schüler und seine ewigen Feinde“.