Vienna Eco im Gespräch mit Bürgermeister Michael Ludwig

„Lebens- und Klimaqualität als Trumpf“

Ohne Corona wären heute fraglos Klimawandel und Klimaschutz das kardinale Thema. Und die Smart City Wien hat ja hier große Ambitionen …

Michael Ludwig: Ich habe schon zu Beginn meiner Amtszeit als Wiener Bürgermeister unser diesbezügliches Ziel festgelegt: Wien wird „Klimamusterstadt“. Und damit das kein Lippenbekenntnis bleibt, hat die Stadt ein umfassendes Paket mit 50 Maßnahmen geschnürt, die uns dabei helfen, dieses – durchaus fordernde – Ziel zu realisieren. Die einzelnen Schritte reichen vom Kampf gegen urbane „Hitzeinseln“ über „Cooling-Maßnahmen“ bis zur Erweiterung der Grünflächen – wobei man in diesem Zusammenhang feststellen muss, dass wir schon jetzt die „grünste Stadt der Welt“ sind. Der tiefere Sinn all dieser Maßnahmen ist unser ehrgeiziger Plan, Wien bis 2040 komplett CO2-neutral zu machen. Und dabei helfen uns natürlich so groß angelegte Initiativen wie die Photovoltaikoffensive. Übrigens: Wissenschaftler unterstützen uns auf unserem ambitionierten Weg moralisch – erst unlängst brachte der in New York forschende Klimaökonom Gernot Wagner ein Buch mit dem Titel „Stadt, Land, Klima“ heraus, in dem er die These vertritt: „Ausgerechnet in den oft als naturfeindlich verschrienen Städten steckt die Lösung. Zwischen modernster Technologie und Fahrrad, Kreativität und Bodenständigkeit, Effizienz und Resilienz können wir ein neues Klimakapitel aufschlagen.“

In diesem Zusammenhang spielt auch die Mobilitätswende und der Ausbau des öffentlichen Verkehrs eine große Rolle – und hier setzt Wien ja auch auf grenzüberschreitende Mobilität …

Ludwig: Wien ist schon jetzt in der „luxuriösen“ Situation, dass es mehr Besitzer von Öffi-Jahrestickets gibt als Autozulassungen. Das ist in vielen Städten und Großstädten ganz anders! Und natürlich ist das eine optimale Voraussetzung, um auf unserem Weg zur Klimamusterstadt – und da möchte ich beispielsweise die mit Wasserstoff betriebenen Autobusse der Wiener Linien erwähnen –, zügig voranzukommen. Und ja, diese neue Mobilität kann und darf natürlich nicht an der Stadtgrenze und an den Bundesländergrenzen haltmachen.

Deshalb arbeiten die drei Bundesländer der Ostregion – Wien, Niederösterreich und Burgenland – hier eng zusammen, um nicht nur in wirtschaftlichen, sondern auch in Verkehrs- und Raumordnungsfragen großzügige Lösungen zu finden. Für Wien bedeutet das beispielsweise, dass wir die Zahl der zu uns mit dem Pkw einpendelnden Menschen – derzeit sind das etwa 300.000 – durch die Beteiligung am Bau von Park & Ride-Anlagen in Niederösterreich bis 2050 halbieren möchten. Darüber hinaus soll bis 2025 – etwa durch die Verlängerung des 72ers nach Schwechat oder eine neue Straßenbahnlinie nach Groß-Enzersdorf – mindestens eine Straßenbahnlinie über die Stadtgrenze fahren. Weiters planen wir im S-Bahn- und Regionalverkehr Taktverdichtungen, den Ausbau der Pottendorfer Linie, den Ausbau der Aspangbahn und der Badner Bahn sowie die Elektrifizierung der Marchegger Ostbahn samt Erweiterung der Ostbahnbrücke. Dass das sinnvoll und machbar ist, haben schon unsere „Ahnen“ gewusst: Immerhin wurde 1914 eine „Elektrische“ von Wien nach Pressburg auf Schiene gestellt …

All diese Maßnahmen und Entwicklungen erhöhen die Lebensqualität der Bevölkerung. Auch diesbezüglich kann Wien ja auf der Vorarbeit vieler kommunalpolitischer Vorgänger aufbauen – Stichwort „leistbares Wohnen“ …

Ludwig: Ein großer Trumpf, den wir in Wien haben, ist die öffentliche Daseinsvorsorge. Denn während in vielen anderen Großstädten die wichtigsten kommunalen Leistungen – vom Trinkwasser über die Abfallentsorgung bis hin zum Wohnen – privatisiert worden sind, blieb die Daseinsvorsorge bei uns in öffentlicher Hand. Und das war gut so – in anderen Metropolen, vor allem in Deutschland, Frankreich und Großbritannien, gab es inzwischen rund 700 Rekommunalisierungen, weil die Leistungen privater Anbieter letztlich zu teuer gekommen sind oder sich stark verschlechtert haben. Und ja, Sie haben recht: All das wussten auch unsere großen kommunalpolitischen Vorbilder – von Karl Seitz bis Hugo Breitner – schon. Ihre Ansagen und Offensiven – etwa in puncto soziales Wohnen – treiben uns noch heute an. Auch in unseren neuen Stadtvierteln von der „smarten“ Seestadt Aspern bis zum Sonnwendviertel steht das leistbare und qualitativ hochwertige Wohnen im Vordergrund. Nicht umsonst bezeichnen deutsche Journalistinnen und Journalisten – auch aufgrund der Tatsache, dass hier 60 Prozent der Bevölkerung im geförderten Wohnbau leben – Wien als „Paradies für Mieter“.

 

 

Fotocredit © C.Jobst PID