Die Rückkehr in die Normalität im Frühjahr?
Die Wiener Wirtschaftskammer präsentierte den großen „Aufsperr- und Freitestplan“ für die Bundeshauptstadt: Mit 1,5 Millionen Coronatests pro Woche sollen auch Gastro und Co. wieder öffnen können. Inzwischen hat sich die Wiener Stadtregierung auf einen Schanigartenlösung geeinigt, vorausgesetzt, die Fallzahlen steigen nicht mehr weiter. Die Stadt überlegt zusätzlich, den öffentlichen Raum zu nutzen, um weitere Schanigärten zu ermöglichen.
Es ist die brennende Frage, die die ganze Welt seit beinah einem Jahr beschäftigt: „Wann wird alles endlich wieder ,normal’?“ Ein Jahr nach Ausbruch der Coronakrise in Österreich und beinahe auf den Tag genau ein Jahr nach Beginn des ersten Lockdowns könnte die Rückkehr zur Normalität nun Realität werden – zumindest wenn es nach der Wiener Wirtschaftskammer geht.
Wie der Standard berichtet, will die WKW nämlich das „große Aufsperren“ mittels Freitesten schon in weniger als einem Monat starten. Der Plan, den die WK gemeinsam mit der Stadt Wien und dem Wiener Start-up Lead Horizon umsetzen will, sieht vor, dass ab Mitte März flächendeckende PCR-Gurgeltests zum Freitesten für Lokale und Co etabliert werden sollen – Kostenpunkt: 200 Millionen Euro.
Um den Bedarf an Tests zu decken, sollen in Kürze rund 1,5 Millionen solcher Spuck-Testkits pro Woche zur Verfügung stehen. Den Startschuss für das große Freitesten per Gurgeltest gaben die Wirtschaftskammer und Stadt Wien gemeinsam mit Lead Horizon bereits Ende Jänner, als die Initiative „Alles gurgelt“ startete. Das erklärte gemeinsame Ziel der Aktion: Flächendeckende Gurgel-PCR-Tests für die Bundeshauptstadt zur Verfügung zu stellen, um es der Bevölkerung zu ermöglichen, laufend ihren Gesundheitsstatus zu überprüfen und das Ansteckungsrisiko auf ein Minimum hinunterzuschrauben.
Testphase mit 50.000 Personen
„Wir befinden uns mitten in einer Testphase mit rund 50.000 Teilnehmern“, verriet der Wiener Wirtschaftskammerpräsident Walter Ruck gegenüber dem Standard. Zweimal wöchentlich testen sich Mitarbeiter von Firmen aus unterschiedlichen Branchen. „Die Testkapazitäten reichen theoretisch für 1,5 Millionen Tests pro Woche. Mitte März wissen wir, ob alles klappt, die Entwicklung läuft aber bisher sehr gut.“ Dann sehe er keinen Grund mehr für gesellschaftliche und wirtschaftliche Einschränkungen in Wien. Bisher habe man das Konzept bei großen Unternehmen erprobt, nun rolle man es auf kleine Firmen (vor allem körpernahe Dienstleister) aus. Die Gurgeltests werden mittels Anleitung per Web-App zu Hause durchgeführt. Die Proben werden in der Testphase über die teilnehmenden Firmen gesammelt und von der Post in das Wiener Lifebrain-COVID-Labor gebracht, wo die Auswertung erfolgt.
Bei einer flächendeckenden Ausrollung soll, wenn möglich, jedes Unternehmen mit Filialsystem eingebunden werden, das eine Niederlassung in Menschennähe hat. Ein Ergebnis soll innerhalb von 24 Stunden vorliegen und laut Ruck als Eintrittsticket gelten: „Ein negatives PCR-Ergebnis ist mehr als die Momentaufnahme eines Antigentests. Für 72 Stunden ab dem Test weiß man, dass man nicht infektiös ist. Warum soll ich dann nicht in ein Lokal oder ein Konzert gehen dürfen?“
Kostenpunkt: 200 Millionen Euro
Dass ein Unterfangen dieser Größenordnung auch seinen Preis hat, erklärt sich von selbst – im Vergleich zu den Verlusten, die ein Nicht-Aufsperren mit sich zieht, seien diese allerdings gering, wie die Wiener Wirtschaftskammer vorrechnet. Die Kosten der wienweiten Ausrollung des Projekts für sechs Monate sollen sich auf rund 200 Millionen Euro belaufen und werden vom Bund getragen. Ein sechswöchiget Lockdown kostet den Standort Wien 2,1 Milliarden Euro an Bruttoregionalprodukt. Dabei gingen 850 Millionen Euro Steuereinnahmen verloren, plus 500 Millionen Euro an ausbezahlten Hilfsleistungen. Dividiert durch sechs, rechne sich der flächendeckende PCR-Test also nach rund einer Woche, sagt Ruck. Ein einzelner Test kostet aktuell 8,50 Euro und bei einer flächendeckenden Ausrollung fünf Euro.
Die Frage, ob die Ausrollung des neuen Freitestsystems auch ein Ende des Lockdowns bedeutet, sei eine politische Frage, so Ruck: „Ob ein negatives Ergebnis reicht, um die Einschränkungen aufzuheben, ist eine gesellschaftspolitische Frage, das muss die Politik klären. Die Grundlage wäre aber gegeben“, so der WKW-Präsident. Auf die Frage, warum die Ausrollung im ersten Schritt nur in und für Wien geplant sei, beantwortet er dem Standard gegenüber mit der Argumentation, dass die Bundeshauptstadt momentan die einzige Stadt sei, die die „logistischen Herausforderungen für dieses Projekt meistern“ könne, woraus sich die Schlussfolgerung ergebe, dass auch nur in Wien die Türen aufgehen können.
Roll-out in Wien: „Irgendwo muss man anfangen“
„Irgendwo muss man anfangen“, meint Walter Ruck und ergänzt: „Aus Wien kommt immerhin auch ein Viertel der österreichischen Wirtschaftsleistung.“ Der Wirtschaftskammerpräsident betont dabei, dass es sich hier um eine pragmatische Herangehensweise handle und er und die Kammer niemanden in anderen Bundesländern schlechterstellen wollen würden, es sei einfach „höchste Zeit, zu handeln – egal, wo“.
Nachdem die Spekulationen um ein realistisches und das tatsächliche Datum einer Wiedereröffnung der Gastronomie und Hotellerie in den vergangenen Wochen ein heiß diskutiertes Thema waren, und vermeintliche „Gastro-Orakel“ diverser bekannter Lokale ein Re-Opening mit April oder frühestens nach Ostern angesetzt hatten, wäre eine schrittweise Wiedereröffnung mit Mitte März ein Geschenk für die von der Krise besonders hart getroffenen Branchen. Ob die Pläne halten werden, wird sich angesichts der weiter hohen Infektionszahlen wohl dennoch erst in ein paar Wochen beziehungsweise mit Anbruch des nächsten Monats weisen. (red)
Quelle: leadersnet.at am 18.02.2020
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